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Das selbstgemachte Gefängnis

Professor em. Mrs. Lily de Silva

 

Gemäß den Lehrreden des Pāli-Kanons besteht die menschliche Persönlichkeit aus fünf "Aggregaten des Ergreifens", die in Pāli pañc'upādāna-kkhandhā genannt werden.

Folgende werden in Aufzählungen genannt:

das Aggregat des Körpers;
das Aggregat der Gefühle;
das Aggregat der Wahrnehmung;
das Aggregat der willensmäßigen Aktivitäten;
das Aggregat des Bewusstseins.

Man kann sich fragen, warum Gautama Buddha nur fünf Aggregate, nicht mehr und nicht weniger genannt hat. Diese Frage lässt sich beantworten, wenn man eine beliebige Erfahrungseinheit in unserem täglichen Leben analysiert. Nehmen wir beispielsweise an, wir hören ein Krachen auf der Straße, begeben uns an diese Stelle und bemerken, dass es einen Motorrad-Unfall gegeben hat. Wir bedauern das Opfer und wollen ihn so schnell wie möglich ins Krankenhaus bringen. Wenn wir uns diese Erfahrungseinheit genau betrachten und die darin enthaltenen körperlichen und geistigen Phänomene analysieren, werden wir bemerken, dass sie mit den fünf Aggregaten in Übereinstimmung gebracht werden können.

Als erstes erkennen wir den Körper oder den materiellen Aspekt unserer Persönlichkeit. Dieser Körper nähert sich dem Ort des Unfalls. Wir haben den Lärm gehört und die Unfallszene gesehen und das bedeutet, dass wir auditives und visuelles Bewusstsein haben. Wir haben erkannt, dass es einen Motorrad-Unfall gegeben hat und dies ist das Aggregat der Wahrnehmung und Ideation. Wir haben das Opfer bedauert, und dies ist der willensmäßige Aspekt. Auf diese Weise finden wir alle fünf Aggregate des Ergreifens in dieser Erfahrungseinheit. Die physischen und mentalen Phänomene, die bei unseren gesamten Erfahrungen mitspielen, sind in diesen fünf Aggregaten enthalten. Es ist sehr wahrscheinlich, dass auch der Buddha diese fünf Aggregate des Ergreifens entdeckt hat, indem er die Erfahrung mittels objektiver Achtsamkeit (sati) und intuitiver Weisheit (paññā) analysiert hat.

Warum heißen sie Aggregate, Khandha? Das Pāli-Wort Khandha bedeutet "Haufen" oder "Ansammlung". Es lässt sich leicht einsehen, dass der Körper ein Haufen materieller Elemente ist. Wir fördern seinen Wachstumsprozess, indem wir ihn mit grober materieller Nahrung versorgen. Auch in der geistigen Sphäre akkumulieren wir durch unsere Erfahrungen Gefühle, Wahrnehmungen und Ideen, Willensprozesse und Bewusstsein. Darum werden alle fünf Aspekte der Persönlichkeit Haufen, Akkumulationen oder Aggregate genannt. Da sie eng miteinander verbunden sind und miteinander interagieren, sind die Prozesse extrem komplex und diffizil. In einem Gleichnis aus den Kommentaren werden sie mit den Wassern an einem Zusammenfluss gleichgesetzt, an dem sich fünf Flüsse treffen. Man kann nicht aus diesen Wassern eine Hand-voll schöpfen und sagen, dass sie von dem einen oder anderen Fluss kommen. Die Aggregate ändern sich andauernd und sind in einem konstanten Zustand des Fließens. Sie sind so flüchtig und dynamisch, dass sich aus ihnen die Vorstellung eines "Ich" oder "Mein" ergibt. Genauso wie eine Flamme, die sich sehr schnell um sich selbst dreht, die Illusion eines Feuerkreises ergibt, ergeben sich aus diesen dynamischen Prozessen der körperlichen und geistigen Energie die Illusion des Ich, des Selbst, des Ego, der Seele.

Sie werden Aggregate des Ergreifens genannt, weil wir an ihnen leidenschaftlich hängen und sie als "Ich" und "Mein" auffassen. Genauso wie ein mit einem Band an einen festen Pfosten gebundenes Tier um den Pfosten rennt, in seiner Nähe steht, sitzt und sich niederlegt, so kann auch die Person, welche die fünf Aggregate als sein Selbst ansieht, den Aggregaten und dem Leiden, der Verzweiflung und Furcht, die sie unvermeidlich begleiten, nicht entkommen. (siehe dazu Samyutta Nikāya III, 150)

Die fünf Aggregate sind für den Menschen ein privates Gefängnis. Sie leiden, weil sie an diesem Gefängnis hängen und auch auf Grund der Erwartungen, die sie von dem Gefängnis haben. Die Wahrnehmungen der äußeren Welt und die Beziehungen zu den Mitmenschen werden von der Natur dieses Gefängnisses geformt und deswegen werden die mitmenschlichen Beziehungen und die Kommunikation extrem komplex, heikel und problematisch. In dem Maße, in dem wir uns mit diesem privaten Gefängnis identifizieren, werden die Probleme komplizierter und komplizierter.

Als nächstes werden wir dieses Verständnis der kanonischen Lehren in die alltägliche Erfahrung übersetzen und sehen, wie wir an jedem dieser Aggregate als "Ich" und "Mein" hängen und deswegen weiterhin in dem privaten Gefängnis leiden, das wir uns selbst gebaut haben.

 

Das Aggregat des Körpers

Wenn jemand die Frage stellt: "Wer bist du?", antworten wir sofort mit der Feststellung: "Ich bin der und der." Der Name ist aber nur ein Etikett und auswechselbar. Wir können auch sagen: "Ich bin ein menschliches Wesen." Auf diese Weise haben wir aber nur auf die Spezies hingewiesen, zu der wir gehören. "Ich bin ein Mann oder eine Frau." Dies zeigt nur das Geschlecht der Person auf. "Ich bin die Tochter, Schwester, Ehefrau, Mutter von dem und dem." Dies beschreibt Verwandtschaftsverhältnisse, beantwortet aber nicht die Frage: "Wer bist du?" Wir zeigen unseren Personalausweis, um unsere Identität zu beweisen, aber der Personalausweis zeigt nur ein Bild des Körpers mit einem Namensschild. Dennoch glauben wir, dass wir die Frage "Wer bist du?" zufriedenstellend beantwortet haben, denn wir identifizieren uns mit unserem Körper. Wenn wir sagen: "Ich bin groß, ich bin dick, ich bin blond, usw." meinen wir damit in Wirklichkeit, dass der Körper groß oder dick oder blond ist. Damit identifizieren wir den Körper als "Ich". Überdies schmücken wir ihn auf verschiedene Weisen und betrachten dies als unser schönes Selbst. "Sehe ich nicht schön in dieser speziellen Kleidung aus?" Wir betrachten den Körper als unseren kostbaren Besitz - "mein Gesicht, mein Haar, meine Zähne, usw."

Auf diese Weise wird sehr klar, dass wir an unserem Körper hängen, als wäre er unser eigenes Selbst. Diese Identifikation wird so weitgehend akzeptiert und ist so vollständig, dass sie sich auch in den Sprachgebrauch eingeschlichen hat. Hinter Begriffen wie "jemand", "alle" und "niemand" steht die Vorstellung von einer Person.

Gautama Buddha, der den Körper objektiv unter dem Mikroskop der Achtsamkeit analysiert hat, hat die wahre Natur des Körpers erkannt und herausgefunden, dass an ihm nichts ist, welches "schön" genannt werden kann. Der Körper besteht aus Fleisch, Schleim, Blut, Urin und Kot, und diese Körperbestandteile werden eher als das Gegenteil von "schön" bezeichnet. Das trifft sogar auf Haare, Zähne und Fingernägel vor, denn wenn diese nicht am Körper, sondern z.B. im Essen gefunden werden, werden sie vielmehr als "Ekel erregend" betrachtet. Auch das Gesicht einer Schönheitskönigin kann vor der Morgenwäsche nicht gerade Entzücken erregen. In der Beziehung ist es nicht notwendig, das zu betrachten, was das Alter mit dem Körper anrichtet oder was mit ihm nach dem Tod geschieht. Darum wird im Pāli-Kanon gesagt, dass der Körper ein Sack voller Schmutz ist, eine Last, die es besser ist, loszuwerden anstatt sie als "Ich" und "Mein" zu bezeichnen.

Der Körper setzt sich aus den materiellen Elementen Festigkeit-Erde, Zusammenhalt-Wasser, Hitze-Feuer und Bewegung-Luft zusammen. An diesen Elementen ist nichts, was es wert wäre, sie zu ergreifen. Aus ihnen setzt sich auch die äußere Welt zusammen, aber trotzdem hängen wir an unserem Körper als einem Stück Materie als "Ich" und "Mein".

Der Buddha definiert den Körper oder die "Form" als das, was sich neu formt und wieder auflöst und als das, was von Hitze, Kälte und Insekten gequält wird. Die moderne Medizin informiert, dass der Körper sich aus Billionen und Billionen von Zellen zusammensetzt, welche andauernd im Prozess des Wachstums und Vergehens sind. Was hierbei gemeint wird, kann mit einem Gleichnis erklärt werden. Wir sagen, dass da Regen ist und gebrauchen das Nomen "Regen". Aber in Wirklichkeit gibt es kein "Ding" genannt "Regen" abgesehen von der Aktivität des Regnens. Wir nennen den Prozess von Wassertropfen, die vom Himmel fallen, "Regen". Obwohl wir das Nomen "Regen" benutzen, gibt es in Wirklichkeit nur die Aktivität des Regnens, die besser mit einem Verb beschrieben werden kann. In ähnlicher Weise ist das, was wir den Körper nennen, nur ein Prozess des Körper-Bauens und darum definiert der Buddha das Nomen "Form" (rupa) durch das entsprechende Verb "formen" (ruppati). Dieser Prozess des Körper-Bauens geht die ganze Zeit vor sich und ist deswegen ein dynamischer Prozess, ein Prozess der dauernden Unruhe. Darum wird die Form als vergänglich (anicca) bezeichnet. In diesem sich dauernd verändernden Prozess der Aktivität des Körper-Bauens gibt es absolut nichts, das als ein Selbst, als sich nie veränderndes Ego, als "Ich", als dauerhafte Seele verstanden werden kann. Von daher ist die Identifikation des Menschen mit dem Körper als Selbst eine große Täuschung.

Während seines Lebens macht der Körper die Stadien des Säuglingsalters, der Kindheit, der Pubertät, der Jugend, des mittleren Alters und des Greisenalters durch. Innerhalb dieses Prozesses gibt es für jedes spezielle Alter eine spezielle Art des Leidens. In dem Säuglingsalter sind dies z.B. das Zahnen, das Laufen-Lernen, das Lernen der Kommunikation mit den dieses begleitenden Enttäuschungen. Die Kindheit ist vergleichsweise frei von Leid, was den Körper betrifft, wenn man so glücklich ist, gesund zu sein, aber wenn die Energie sich nicht auf gesunde Spiele und kreative Arbeit richtet, kann es sehr leidvoll werden, wenn man mit dem wachsenden Körper fertig werden muss. Die Pubertät, in der das Individuum weder klein genug ist, um ein Kind zu sein, noch reif genug, um ein Erwachsener zu sein, ist besonders leidvoll. In der Jugend wird der Körper zu einem Problem, da die sexuelle Energie einen Höhepunkt erreicht. Wird sie nicht mit Weisheit kanalisiert, auf akzeptable Weise ausgeübt, mit Zurückhaltung behandelt und sublimiert, kann die Jugend in großes Elend führen. Im mittleren Alter ist der Körper zu Krankheiten geneigt, die von Stress induziert sind, und für viele ist dies eine Periode von Angst. Das Leiden im Greisenalter ist mannigfach; der Körper wird eine Last, die zu groß ist zum Tragen. Es gibt also kein Stadium im Leben, in dem der Körper nicht zu einem Problem wird und dies bedeutet, dass er im ganzen Leben eine Quelle des Leidens ist.

Obwohl wir den Körper mit allen Arten sinnlicher Vergnügungen verhätscheln, ist er niemals dankbar. Er benimmt sich nie so, wie wir es von ihm möchten. So oft wir ihn auch waschen, immer wird er schmutzig. Sooft wir ihn füttern, immer wird er hungrig und müde. Er wird krank, er wird alt, er verliert seine Schönheit und Stärke. Er bleibt nie in unserer Kontrolle. Darum ist er es nicht wert, dass wir uns zu viel mit ihm beschäftigen und ihn "Ich" und "Mein" nennen.

In dem privaten Gefängnis der fünf Aggregate ist der Körper die Wand, die am spürbarsten ist. Der Körper jedes Individuums ist eine einzigartige Kombination von Elementen, die besondere biochemische und bioelektrische Eigenschaften haben. Jeder Körper hat Stärken und Schwächen und jeder ist bestimmten Arten von Krankheiten auf besondere Weise zuge-neigt. Es gibt niemanden, der in seinem ganzen Leben völlig gesund ist. Die eine Person ist Asthmatiker, die andere Diabetiker. Der eine hat ein schwaches Atemsystem, der andere ein schwaches Verdauungssystem. Jeder leidet auf individuelle Weise an dem Körper, den er geerbt hat.

Unsere Körper variieren in Größe, Form, Farbe und Erscheinen, und auf Grund dieser Unterschiede leiden wir auf ver-schiedene Weise. Vielleicht sind unsere Körper nicht das, was wir gern hätten, und dann werden wir enttäuscht und deprimiert. Eine Frau, die ihr Augenlicht in der frühen Kindheit verloren hat, bekommt es nach dreißig Jahren als Resultat des Schocks eines plötzlichen Sturzes wieder. Zuerst freute sie sich sehr darüber, aber ihre Freude war nur kurzlebig, denn in einem Spiegel entdeckte sie, dass sie nicht körperlich anziehend war. Diese Enttäuschung kann uns der Körper bereiten, wenn er unseren Erwartungen nicht entspricht.

Von einem Lebensabschnitt zum anderen ändert sich der Körper: ein einst schöner und starker Körper wird ausgemergelt und schwach und deswegen leiden wir. Wir nehmen zu den verschiedensten Mitteln Zuflucht, um ihn anziehend und stark zu machen - wir bemalen das Gesicht, färben das Haar, gebrauchen künstliche Gebisse und Perücken; wir nehmen Vitamine, Stärkungsmittel und Elixiere. Trotz allem entspricht unser Körper fast nie unseren Erwartungen und wir leiden weiter in dem privaten Gefängnis unseres Körpers, das wir uns geschaffen haben.

Einmal erzählte mir ein Freund, dass er gesehen hatte, wie ein Kind an der hinteren Stoßstange eines geparkten Autos herumspielte. Der Besitzer kam, startete das Auto und das Kind klammerte sich an die hintere Stoßstange und schrie, als es mitgeschleppt wurde. Wenn es die Stoßstange nur losgelassen hätte, hätte es nicht so zu leiden brauchen. In gleicher Weise klammern wir uns an unseren Körper und trauern und klagen, wenn er sich der Natur entsprechend wandelt. Wenn wir nur lernen würden, wie man ihn loslässt, dann würde unser Leiden enden. Darum sagt Gautama Buddha: "Gebt das, was euch nicht gehört, auf. Die fünf Aggregate gehören euch nicht."

 

Das Aggregat des Gefühls

Das Gefühl grenzt den Körper von dem Rest der Umgebung ab und gibt ihm die Empfindung eines Selbst. Im Khandha-samyutta (Samyutta Nikaya III, 46) wird festgestellt, dass der unwissende Mensch von den Gefühlen, die durch den Kontakt mit der Unwissenheit hervorgebracht werden, beeindruckt wird und denkt: "Ich bin", "Ich bin dies(er Körper)". Der Körper ist mit einem diffizilen System von Nervenenden ausgestattet und es gibt an ihm keinen Teil, der nicht auf Berührung antworten würde. Der ganze sensitive Umfang konstituiert das Ich, das Selbst, das Ego.

Wenn wir sagen: "Mir geht es gut oder ich bin glücklich oder traurig", identifizieren wir uns mit den Gefühlen. Feststellungen wie "Er kümmert sich nicht um mein Glück, er verletzt mein Gefühl" zeigen ebenfalls, wie wir unsere Gefühle mit einem Besitzempfinden ausstatten. Es gibt drei Arten von Gefühlen, nämlich angenehme oder glückliche Gefühle, unangenehme oder leidvolle Gefühle und neutrale Gefühle. Im gleichen Moment treten niemals zwei Typen davon zur gleichen Zeit auf. Wenn angenehme Gefühle anwesend sind, sind die anderen beiden Typen abwesend; wenn leidvolle Gefühle anwesend sind, gibt es keine angenehmen oder neutralen Gefühle; das gleiche gilt für neutrale Gefühle. Im Mahānidāna-Sutta wird die Frage gestellt: Wenn die Gefühle so komplex sind, welches Gefühl würde man als sein eigenes Selbst akzeptieren?

Gemäß dem Vedanāsamyutta entstehen unzählige Gefühle im Körper, gerade so, wie alle Arten von Winden in verschiedenen Richtungen in der Atmosphäre wehen. Wir sind uns dieser Gefühle kaum bewusst, aus dem einfachen Grund, da wir ihnen nicht genug Beachtung schenken. Wenn wir für ein paar Minuten beobachten, wie oft wir unsere Körperhaltung ändern und unsere Körperglieder bewegen, werden wir überrascht bemerken, dass wir kaum für ein paar Sekunden still halten. Was ist der Grund für diesen dauernden Positions- und Haltungswechsel? Die Monotonie der Position bringt Unbehagen mit sich und wir ändern die Position und die Haltung in unserer Suche nach Behaglichkeit. Wir reagieren auf Gefühle, wir sehnen uns nach immer angenehmeren Gefühlen, wir wollen unangenehmen Gefühlen ausweichen und sind uns im allgemeinen der neutralen Gefühle nicht bewusst. Darum haben die angenehmen Gefühle das Begehren als ihre latente Tendenz, die unangenehmen Gefühle haben die Aversion als ihre latente Tendenz und die neutralen Gefühle die Unwissenheit (Majjhima Nikāya I,303). Auf diese Weise bringen alle Gefühle von ihrer Motivation her mit den Grundübeln verbundene Wurzeln hervor und sie nehmen an der allgemeinen Natur des Leidens teil (yamkiñci vedayitam tam dukkhasmim; Samyutta Nikāya IV. 216). Obwohl die Suche nach Behagen und Vergnügen im Leben andauernd vor sich geht, entwischt uns das Vergnügen immer wie eine Fata Morgana.

Unsere Gefühle sind extrem privat und persönlich. Jemand kann starke Kopfschmerzen haben, aber der, welcher neben ihm sitzt, weiß nicht unbedingt etwas von dessen schmerzhaften Gefühlen. Wir schließen nur auf die Gefühle der anderen von deren Gesichtszügen, deren Verhalten und deren Worte her, aber wir kennen nicht die Gefühle der anderen. Also sind wir einzigartig in der Erfahrung der Gefühle: der eine kann gegen Hitze empfindlich sein, der andere gegen Kälte, Moskitos oder Fliegen, ein anderer wiederum gegen eine spezielle Pollenart. Einer kann eine niedrige Schmerztoleranz haben, ein anderer eine hohe. Auf die Weise ist jeder einzigartig in der Totalität seiner Empfindungswelt - und dies bedeutet, dass wir völlig allein in unserem privaten Gefängnis der Gefühle sind.

Der Buddha definiert das Gefühl als den Akt des Fühlens. Es gibt kein "Ding", das von dem Akt des Fühlens abgesehen Gefühl genannt wird. Darum sind Gefühle dynamisch, sie ändern sich andauernd und sind vergänglich. Sie sind auch nicht unserer Kontrolle unterworfen, denn wir können nicht sagen: "Ich möchte dieses oder jenes Gefühl haben." Sie kommen und gehen, wie es ihnen gefällt, wir haben keine Kontrolle, kein Eigentümerrecht über sie. Darum ermahnt Gautama Buddha: "Gebt auf, was euch nicht gehört." Wenn man versucht, das, was flüchtig ist und nicht manipuliert werden kann, zu besitzen, verursacht das Kummer. Wenn man es aufgibt, ist dies das Ende des Kummers.

 

Das Aggregat der Wahrnehmung

Saññā wird in Pāli als Wahrnehmung oder Ideation übersetzt. Wahrnehmung ist nichts als der Akt des Wahrnehmens. Deshalb ist es ein dynamischer Prozess, eine Aktivität. Was wird wahrgenommen? Z.B. werden Farben wie blau, gelb, rot, weiß usw. wahrgenommen. Diese Definition von saññā scheint zu implizieren, dass die linguistische Fähigkeit des Menschen mit saññā verbunden ist. Das Wort saññā bedeutet auch ein Symbol, und die Symbolisierung ist eng mit der Sprache verbunden. Es ist die Sprache, die uns hilft, Ideen zu formen, und das ist der Grund, warum saññā manchmal als Ideation übersetzt wird. Der Wahrnehmung gemäß bildet man Standpunkte, eine Idee.

Wir identifizieren uns auch mit unseren Ideen: "Dies ist mein Standpunkt, dies ist meine Idee, dies ist meine Meinung, dies ist, was ich meine" - dies alles sind Ausdrücke, die uns mit Ideation und Wahrnehmung identifizieren. Manchmal ist diese Identifikation so stark, dass wir bereit sind, für eine Idee unser Leben zu opfern. Viele Kriege werden in der Welt um der Ideen, die verteidigt oder verbreitet werden sollen, willen geführt. Da dies eine so dominierende Art des Anklammerns ist, wurde sie von Gautama Buddha als ditth'upādāna herausgestellt, als das Anklammern an eine besondere Ansicht, die man sich auswählt, um sie zu glauben. Wir identifizieren uns mit den verschiedenen Standpunkten und nennen uns Demokraten, Sozialisten, Ewigkeitsgläubige, Vernichtungsgläubige, Positivisten.

Unsere Ideen ändern sich gemäß der Emotionen und Umstände. Ein Freund wird ein Feind, ein Feind ein Verbündeter, eine Fremde eine Ehegattin. Darum gibt es auch in der Ideation nichts Konstantes und Dauerhaftes; es ist nicht möglich, sie als "Ich" oder "mein" festzuhalten, ohne enttäuscht zu werden und auf diese Weise leiden zu müssen.

Die Erinnerung wird mit saññā verbunden. Darum sind wir fähig, eine Person, die wir schon einmal getroffen haben, wiederzuerkennen. Auf Grund der Fähigkeit der Erinnerung wissen wir, dass wir in der Vergangenheit existiert und dieses oder jenes erlebt haben. Indem wir die gleiche Erfahrung in die Zukunft projizieren, erwarten wir, in der Zukunft zu existieren. Darum positionieren wir auf Grund des Erinnerungsaspektes von saññā die Illusion eines Selbst, das in den drei Perioden von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bestehen bleibt. Aber wir sind uns kaum bewusst, dass die Zurückbesinnung auf die Vergangenheit und die Erwartung der Zukunft beide in der Tat im gegenwärtigen Moment geschehen.

Wie formt saññā eine Wand unseres privaten Gefängnisses? Jeder von uns nimmt die Welt um uns durch seine eigenen vorgefassten Meinungen wahr. Dies zeigt bereits ein sehr grobes Beispiel. Die Wahrnehmung der Welt eines Arztes wird von der Wahrnehmung eines Politikers oder Geschäftsmannes sehr verschieden sein. Ein Arzt, der einen Apfel betrachtet, denkt vielleicht an seinen Ernährungswert, ein Politiker an die Vor- und Nachteile der Erlaubnis des Imports, ein Geschäftsmann an seinen kommerziellen Wert. So werden wir so viel von unseren Interessen und Ideologien konditioniert - einige davon stammen aus der Erziehung, einige aus der Kultur, in die wir hineingeboren wurden, einige aus dem akademischen oder professionellen Training, das wir durchgemacht haben -, dass nicht zwei Personen identische Wahrnehmungen haben. In diesen Aspekten gibt es genügend gemeinsame Faktoren, so dass wir eine allgemeine oberflächliche Übereinstimmung mit anderen Personen erzielen, aber wenn wir all die Verzweigungen in Betracht ziehen, müssen wir daraus schließen, dass auch in Bezug auf die Wahrnehmung jeder von uns in seinem privaten Gefängnis lebt. Wenn wir Weisheit und Glück in uns erreichen wollen, müssen wir es aufgeben, an unseren Ideen zu hängen und müssen das, was wir Jahre hindurch gelernt haben, verlernen, uns zu dekonditionieren und unseren Geist zu leeren.

 

Das Aggregat der Willensaktivitäten

Es gibt drei Arten von Willensaktivitäten, physische, verbale und mentale. Wir identifizieren uns so sehr mit diesen Willensaktivitäten, dass wir hinter ihnen einen Handelnden als den, der etwas macht, etwas sagt und etwas denkt, vermuten. Darum sagen wir: "Ich tue (gehe spazieren, stehe, sitze, arbeite, ruhe mich aus, usw.), ich spreche, ich denke." Da diese Egozentrik in den Aktivitäten so sehr betont wird, wollen wir nicht nur etwas mit maximaler Effizienz ausführen, sondern versuchen auch, die anderen zu übertreffen. Heutzutage ist das Brechen von Rekorden in. Es gibt so viele, die miteinander auf internationaler Ebene in Wettstreit liegen und die gerne einen Platz im Guiness-Buch der Rekorde gewinnen möchten!

Wegen unserer Willensaktivitäten sind wir von der Wiege bis zur Bahre in einen endlosen Prozess der Vorbereitung eingebunden. Als Säuglinge bereiten wir uns auf die Kindheit vor, bemühen uns und lernen solche Fähigkeiten wie die Bewegung und die Rede. Als Kinder bereiten wir uns auf die Jugend vor, und dann eignen wir uns die verschiedenen Fähigkeiten an, studieren Künste und Wissenschaften und versuchen, erfolgreiche Erwachsene zu werden. Schließlich geben wir auch in unseren späten Jahren nicht die Vorbereitung auf. Wir wenden uns in unseren späten Jahren an die Religion, um "in den Himmel zu kommen". Dieser Aspekt unserer Persönlichkeit wird mit verschiedenen Termini ausgedrückt, wie z.B. cetanā, Absicht, von der ihrerseits gesagt wird, sie konstituiert die moralische Kraft des Kamma, welche das Leben von Geburt zu Geburt treibt.

Bestimmte Handlungen haben, wenn sie wiederholt werden, einen kumulativen Effekt auf die Umwandlung des Charakters. Auf diese Weise können wir durch wiederholte Willensaktivitäten unsere Schicksale formen. In einem indischen klassischen Text wird eine kleine Geschichte wiedergegeben, die illustriert, wie unser Schicksal durch unser Verhalten mitbestimmt wird: Eines Tages trafen zwei junge Männer, die sich in einem Wald verirrt hatten, auf einen Einsiedler, der dort lebte und fähig war, die Zukunft vorauszusagen. Bevor sie sich von ihm verabschiedeten, baten ihn die jungen Männer, ihnen ihre Zukunft vorauszusagen. Der Einsiedler wollte es nicht, aber die jungen Männer baten ihn eindringlich darum. Dann schaute der Einsiedler sie genau an und sagte voraus, dass der eine von ihnen, Vipul, in einem Jahr ein König sein würde und der andere, Vijan, durch die Hände eines Mörders sterben würde. Vipul freute sich sehr und Vijan war natürlich sehr traurig. Sie kehrten in ihre Heimat zurück und Vipul wurde anderen gegenüber sehr arrogant, da er dachte, er würde bald König werden. Vijan war ein Lehrer und er übte sorgfältig seine Pflichten aus; er wurde sehr tugendsam und führte ein einfaches meditatives Leben.

Nach ungefähr sechs Monaten rief Vipul seinen Freund und bat ihn, mit ihm zusammen einen Platz zu suchen, wo er einen Palast erbauen konnte, und sie gingen in ein verlassenes Gebiet. Als sie auf der Suche waren, fand Vipul einen Topf voll Gold und war sehr glücklich darüber, dass er langsam reich wurde. Während die beiden Freunde das Gold sehr glücklich und aufgeregt untersuchten, stürmte ein Bandit heran und nahm ihnen den Topf weg. Vijan kämpfte mit dem Banditen und holte das Gold zurück, aber die Waffe des Banditen ließ in seiner Schulter einen Schnitt zurück. Vipul lud Vijan ein, das Gold mit ihm zu teilen, aber Vijan lehnte das Angebot ab, da er in ein paar Monaten sterben würde. Vipul nahm das Gold und gab es für Essen, Trinken und andere Genüsse aus, da er erwartete, ein König zu werden. Vijan verbrachte die Zeit in Meditation und Bescheidenheit. Ein Jahr verging, aber die Vorhersage erfüllte sich nicht. Sie besuchten den Einsiedler wieder und fragten, warum sich seine Vorhersage nicht erfüllt hatte. Der Einsiedler erklärte, dass Vipul durch seine Arroganz seinen Reichtum auf einen einzigen Topf mit Gold reduziert hatte, während das tugendhafte Benehmen von Vijan kraftvoll genug war, um sein Unglück auf eine einzige Wunde durch die Hände eines Banditen zu beschränken.

Das Verb sankhāra wird definiert durch seine verbalen Gegenstücke:
Willensaktivitäten sind jene (mentalen Kräfte), die den physischen Körper in das, was er ist, konstruieren, formen, bilden oder vorbereiten, die Gefühle in das, was sie wind, die Wahrnehmungen, Willensaktivitäten und das Bewusstsein in das, was es ist.

Dies ist ein Prozess, der die ganze Zeit abläuft. Was damit gemeint ist, kann auf folgende Weise verstanden werden: die unterscheidenden charakteristischen physischen und mentalen Züge jedes Individuums werden durch diese Willensaktivitäten determiniert. In diese Kategorie gehören all unsere Hoffnungen, Sehnsüchte, Wünsche und Entschlüsse, und wir identifizieren uns mit ihnen als meine Hoffnungen, meine Wünsche usw. Auch in dieser Hinsicht sind nicht zwei Leute identisch. Das, was die eine Person hoch schätzt und um das sie sich bemüht, das kann die andere gering schätzen. Während eine Person z.B. Reichtum ansammelt, kann eine andere für die Ausbildung sparen. Noch eine andere kann diese beiden Dinge als trivial empfinden und nach Macht, Ehre und Prestige streben. Wir formen uns allein unser Schicksal, gefangen wie wir sind in der aus unseren Willensaktivitäten gebildeten Zelle. Wenn wir uns befreien wollen, dann müssen wir jegliche Identifikation auch mit dieser Gefängniszelle aufgeben.

 

Das Aggregat des Bewusstseins

Das Bewusstsein wird definiert als der Akt des Bewusstwerdens von Objekten durch die Instrumentalität der Sinnesfähigkeiten. Darum gibt es ein Augen-Bewusstsein, ein Ohr-Bewusstsein, ein Nasen-Bewusstsein, ein Zungen-Bewusstsein, ein Körper-Bewusstsein und ein Geist-Bewusstsein. Dieser kognitive Prozess findet so schnell und so ununterbrochen statt, dass wir uns mit der Funktion der Sinnesfähigkeiten identifizieren und deswegen sagen und empfinden: "Ich sehe, ich höre, ich rieche, ich schmecke, ich taste, ich fühle, ich denke und stelle mir vor." Gemäß den Worten des Buddha gibt es kein Ich, kein Ego, kein Selbst, keine Seele, die denkt und diese Sinnesobjekte genießt. Das Sinnesbewusstsein ist nur ein zufällig hervorgerufenes Phänomen, das von den Sinnesfähigkeiten und von den Sinnesobjekten abhängt. Die Sinnesfähigkeiten jeder Person sind unterschiedlich konstituiert. Einige sind blind, einige haben schwache Augen, einige haben scharfe Augen, einige sind taub, einige schwerhörig und einige haben ein scharfes Gehör. Auf Grund dieser Unterschiede in der Konstitution der Sinnesfähigkeiten selbst müssen auch unsere kognitiven Fähigkeiten - und sei es nur geringfügig - unterschiedlich sein. Überdies werden unsere Sinneserfahrungen von unseren Zu- und Abneigungen beeinflusst, von unseren vorhergehenden Erfahrungen und Erinnerungen, von unseren Sehnsüchten und Wünschen. Dies bedeutet, dass, wie sehr wir auch die Sinneserfahrung als authentisch ansehen, keine zwei Leute das gleiche Sinnesobjekt auf die gleiche Weise erfahren. Zum Beispiel lassen Sie uns annehmen, dass drei Leute einen Kampf zwischen zwei Jungen beobachten. Wenn der eine der drei ein Freund ist, der andere ein Feind und der dritte der Vater eines der kämpfenden Jungen, werden alle drei den Kampf auf völlig unterschiedliche Weise betrachten.

Unsere Sinne teilen uns das mit, was wir sehen wollen. Die Willensbestrebungen konditionieren das Bewusstsein durch unsere alltäglichen Erfahrungen. Wenn wir beispielsweise einen Stift auf einem vollen Tisch suchen, könnten wir den Stift sehen und ihn wegnehmen. Dabei ist es möglich, das Glas, das sich neben dem Stift befindet, überhaupt nicht zu sehen und hinterher müssen wir das Glas neu suchen und können nicht einfach an die Stelle schauen, an der sich der Stift befunden hat. Der Grund dafür ist, dass das, was wir sehen, von unserem Willen vorherbestimmt ist. Dieser Wille schließt in gewissem Umfang die Dinge, die für unsere Zwecke irrelevant sind, aus unserem Feld der Aufmerksamkeit und aus unserer Sicht aus.

Wenn wir gedankenverloren eine Szene betrachten, registriert unser Gedächtnis nur ein Paar Dinge, die für uns interessant sind. Das Interesse divergiert und darum sehen verschiedene Leute auch verschiedene Dinge in der gleichen Situation. Deswegen ist es sehr schwierig, eine unparteiische, objektive Erfahrung von Sinnesobjekten zu erlangen, da jeder von uns auf einzigartige Weise psychologisch konstituiert ist. Daher führen wir auch in Bezug auf die Sinneserfahrung ein einsames Privatleben in einer Gefängniszelle ganz für uns allein.

Da jeder von uns ein einsames Leben in den Grenzen unserer individuellen Persönlichkeiten führt, werden die Beziehungen zwischen Personen extrem schwierig und kompliziert. Der Weg, wie man sich aus diesem selbst geschaffenen Gefängnis befreien kann, besteht darin, die fünf Konstituenten der individuellen oder kollektiven Persönlichkeit als "Ich" und "mein" anzusehen.

Nach den Worten des Khandhasamyutta (Samyutta Nikāya III, 137-38) ergreift ein Mann, den die starke Strömung eines Flusses mit sich gerissen hat, die Gräser und Blätter, die sich beim Ufer befinden, aber sie können ihn nicht halten, da sie leicht herausgerissen werden können. In ähnlicher Weise greift ein Mensch, der es nicht besser weiß, nach den fünf Aggregaten als sein Selbst oder sein Ego, aber da sie flüchtig und instabil sind, können sie ihn nicht halten und unterstützen. Wenn sich ein Mensch auf sie verlässt, zieht dies unweigerlich Kummer und Täuschung nach sich. Man muss die nicht permanente, sich dauernd verändernde, konditionale Natur dieser fünf Faktoren der Persönlichkeit erkennen und sich von ihnen lösen. Nur damit befreit man sich von dem selbst gebauten Gefängnis der eigenen Persönlichkeit.

 

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Über die Autorin

Lily de Silva ist emeritierte Professorin für Pāli und Buddhistische Studien an der Universität von Peradeniya in Sri Lanka. Sie leistet regelmäßig Beiträge für gelehrte und populäre buddhistische Zeitschriften und sie ist auch die Herausgeberin des Subkommentars des Dîgha Nikāya, welcher von der Pali Text Society in London veröffentlicht wurde. Ihre Sammlung von Aufsätzen "Ein Fuß in der Welt" wurde in englischer Sprache von der BPS (Buddhist Publication Society) in Kandy, Sri Lanka, veröffentlicht (Wheel Nr. 337/338).

 

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